Auszüge aus dem Artikel „Ein Film, den alle sehen sollten“ von H. Rüder erschienen in Der Reporter am 12. Mai 2021
Die Filmemacherin Martina Fluck leistet einen wichtigen Beitrag zur multimedialen Gestaltung der Gedenkstelle Ahrensbök: In ihrem neuen Film „Verdrängen und Erinnern - Kindheit im Nationalsozialismus“ kommen zwei Zeitzeugen zu Wort, die in ihrer Kindheit in Ahrensbök den Nationalsozialismus erlebten und den Todesmarsch von Auschwitz nach Holstein mit eigenen Augen beobachten konnten: Hans Otto Mutschler und Jörg Wollenberg. „Wir haben die Schreie gehört“, erinnert sich Mutschler im Film. „Das waren Skelette auf Holzpantoffeln, die sich die Straße entlang schleppten.“ Vor seinen Augen wurde ein Häftling erschossen, weil er zu einem Einheimischen mit Krückstock sagte, wie gern er selbst so einen Stock hätte. Wenn die Kinder versuchten, mit den Erwachsenen darüber zu sprechen, sei ihnen gesagt worden: „Das sind eh alles Verbrecher und Kriminelle, da ist’s nicht schad drum.“
Dieser Häftling war bei weitem nicht der einzige, der auf dem Todesmarsch erschossen, zu Tode geprügelt wurde oder schlicht an Erschöpfung starb. „Die Leichen wurden später mit Pferdekarren aus dem Knick geholt“, erinnert sich Mutschler. Als Kind verbrachte er viel Zeit auf Gut Dunkelsdorf, dass für ihn wie für andere Kinder aus der Gegend wie ein Spielplatz war. Bekam früher jedes Kind, das den Gutsherren Schulz grüßte, ein Bonbon von ihm, bekamen später nur noch die Kinder Süßes, die ihn gegen die expliziten Anweisungen nicht mit „Heil Hitler“ grüßten. Der jüdische Gutbesitzer schaffte es, rechtzeitig zu fliehen und lebte im Exil in Peru, auf seinem Gut mussten Kriegsgefangene schuften. Für seinen grausamen Umgang insbesondere mit russischen Kriegsgefangenen stand der Gutsverwalter nach dem Krieg vor Gericht, wurde aber nie verurteilt.
Emotional wird Mutschler, als er nach seinem Vater gefragt wurde: Die glücklichen Erinnerungen an ein Weihnachtsfest mit dem geliebten Vater lassen sich nur schwer in Einklang bringen mit dem Vater, der als überzeugter Nazi im Krieg fiel. Diese traumatischen Erlebnisse, diese Widersprüche der eigenen Gefühlswelt zu verarbeiten und einzuordnen ist keine leichte Aufgabe, da sind sich beide Zeitzeugen einig. „Erst später begann ich, vieles zu hinterfragen, mir im Rahmen der Aufarbeitung auch Vorwürfe zu machen: Warum hatte ich nicht nachgefragt, als mein Vater noch lebte?“, sagt Wollenberg. Sein Vater war in der Gemeinde hoch angesehen und in keiner Partei, doch über die Nazi-Zeit sprach er nie.
Eine der prägendsten Erinnerungen für Wollenberg ist der Tag nach dem Untergang der Cap Arcona: „Da waren ganz normale Deutsche, die gingen mit Spaten und erschlugen die Wenigen, die sich ans Ufer retten konnten“, erzählt er. Bis heute kann er nicht in der Ostsee schwimmen gehen, weil die Badenden selbst zwei Sommer später noch immer beim Schwimmen auf Leichenteile stießen.
Martina Fluck hat schon häufig mit der Gedenkstätte Ahrensbök zusammengearbeitet und führte von Beginn an viele Interviews mit Zeitzeugen. „Es ist eine große Ehre, dass ich diesen Film machen durfte und ich möchte mich bei den beiden Zeitzeugen bedanken: Es ist unheimlich mutig, sich diesen Erinnerungen zu stellen.“
Dokumentarfilm 30 Minuten
Mit
Hans Otto Mutschler
Dr. Jörg Wollenberg
Monika M. Metzner-Zinssmeister
Luisa Taschner
Dank an
Dr. Ingaburgh Klatt
Buch, Regie, Kamera
Martina Fluck
Ton, Schnitt, Animation
Stefan Schulze
Musik
Felix Raffel
Gefördert durch
Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein
Im Auftrag der Gedenkstätte Ahrensbök
Eine Produktion der YUCCA Filmproduktion © 2021